Die Predigerinnen
Anke Indorf, Jahrgang 1966, Pfarrerin in Hohenstein-Ernstthal und Constance Heft, Jahrgang 1975, Diakonin und Kirchenbezirkssozialarbeiterin bei der Diakonie Westsachsen Stiftung.
Dialogpredigt zum Wandergottesdienst (Diakonie &
Bergpredigt im Rahmen der Europäischen Bergpredigten)
Lesungen und Predigttexte: Matthäus 5
Von der Liebe zu den Feinden
43 Man hat euch gelehrt, dass geboten wurde: ›Liebe deinen Nächsten‹ und
hasse deinen Feind. 44 Ich aber sage: Liebt eure Feinde! Betet für die, die
euch verfolgen! 45 So handelt ihr wie wahre Kinder eures Vaters im
Himmel. Denn er lässt die Sonne für Böse und Gute aufgehen und sendet
Regen für die Gerechten wie für die Ungerechten. 46 Wenn ihr nur die
liebt, die euch auch lieben, was ist daran Besonderes? Das tun sogar die
bestechlichen Steuereintreiber. 47 Wenn ihr nur zu euren Freunden
freundlich seid, wodurch unterscheidet ihr euch dann von den anderen
Menschen? Das tun sogar die, die Gott nicht kennen. 48 Ihr sollt aber
vollkommen sein, so wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Dazu die Jahreslosung: 1. Korinther 16,14
Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.
Predigt:
Die Jahreslosung aus dem Brief des Paulus an die Korinther wirkt wie eine
Zusammenfassung der herausfordernden Worte von Jesus aus der Bergpredigt,
welche wir vorhin in der Lesung gehört haben.
Wenn man diese Jahreslosung liest und hört, dann denkt man vielleicht:
Welch eine schöne Jahreslosung! Ja, wie toll wäre das, wenn alle alles in oder
auch mit Liebe tun.
Vielleicht sagen wir sogar: Kein Problem, da habe ich ein JA dazu und versuche,
danach zu leben.
Man könnte es aber auch umgekehrt betrachten: Die Worte von Jesus aus der
Bergpredigt sind wie eine Auslegung, wie eine Konkretisierung des Satzes aus
dem Korintherbrief: Alles, geschehe in Liebe:
Wenn du jemandem etwas leihst, gib ihm freigiebig und mehr als, er erbeten hat,
auch wenn derjenige dir vielleicht etwas Anderes noch nicht zurückgegeben hat.
Oder: Wenn dir jemand Böses tut, ertrage es geduldig und wehre dich nicht, lass
Gott für dich streiten. Halte deinem Angreifer sozusagen die andere Wange hin.
Handle mit Liebe.
Liebe deine Feinde und nicht nur deine Freunde, oder die, die dir sympathisch
sind.
Ich finde diese Sätze aus der Bergpredigt jedenfalls sehr herausfordernd und
wenn ich die Jahreslosung mit Blick auf diese Sätze verstehe, dann fällt es mir
schwer, dem zuzustimmen oder es für gut lebbar zu halten. Dann regt sich
Widerspruch in mir.
Das verstehe ich und es geht mir genauso. Es gibt ja viele verschiedene
theologische Auslegungen zu diesen sogenannten Antithesen in der Bergpredigt
und manche meine, sie gelten nur in bestimmten Situationen, knüpfen an damals
geltende Rechtsregeln an, zum Beispiel die, dass der Schlag auf die Wange, sich
auf einen üblichen Schlag mit dem Handrücken der linken Hand auf die rechte
Wange des Gegenübers bezieht. Dies war damals eine übliche Form der
Beleidigung und somit kein gewalttätiger Angriff. Aber spätestens in den Worten
zur Feindesliebe liegt für mich eine nicht schaffbare Herausforderung. Wie soll
ich denn Liebe für meine Feinde empfinden, für die, die mir schaden?
Ich denke, es ist nicht von Bedeutung, ob die Worte von Jesus sich auf damals
geltenden Rechtsregeln beziehen oder nicht, denn für mich sind sie bis heute
gültig und fordern mich heraus, nachzudenken, was Jesus wohl heute von uns
erwartet. Es kann sein, dass er meint, wenn dich jemand beleidigt, gib keine
Beleidigung zurück. Möglicherweise verlangt er von mir nicht, dass ich mich nicht
verteidige, wenn ich mit Gewalt angegriffen werde. Keine theologische Auslegung
wird mir dabei helfen, die Worte Jesu in mein Leben, in meine Lebenssituationen
zu übertragen. Ich kann natürlich suchen, was Theologen dazu meinen und
welches Verständnis dem meinen am Nächsten kommt und mir hilft, den Text zu
verstehen. Aber betrüge ich mich damit nicht auch etwas, so dass ich die
Auslegung suche, die es mir am Leichtesten macht, mit der Herausforderung
umzugehen?
Stimmt, es sind schon eher revolutionäre Gedanken, die in den Worten Jesu in
der Bergpredigt stecken. Interessant, dass das englische Wort für Liebe, nämlich
„Love“ in dem Wort Revolution steckt, wenn auch nur beim Rückwärtslesen.
Vielleicht lässt sich diese zunehmend egoistische und immer individuellere
Gesellschaft ja mit Liebe revolutionieren? Wenn dem so ist, dann hat Jesus mit
seinen Versen in der Bergpredigt am Ende den Anstoß dazu geben wollen. Und
dann frage ich mich, was bedeutet das heute, für uns, in unserer Zeit und in
unseren Lebenssituationen?
Lass uns doch mal die Situationen betrachten, die heute unterwegs Denkanstöße
waren:
Die Frau, die aufgrund ihrer Krankheit finanziell knapper dran ist und nicht
weiß, wie es weitergeht. Von allen Seiten Erwartungen spürt (Chef,
Hilfebedarf der Schwiegermutter) und als Problemlöser bisher nur den
Alkohol entdeckt hat.
Was hättest du als Gesprächspartner gesagt oder was hättest du für Ideen, wie
man ihr ganz im Sinne von Jesus mit Liebe helfen könnte?
- erst mal zuhören und sich wirklich Zeit nehmen, nicht nur zwischen Tür und
Angel, ist sicherlich kein Fehler
Und dann vielleicht nicht gemeinsam Alkohol trinken, sondern die Sorge
aussprechen, sagen, dass der Alkohol der falsche Tröster ist.
Vielleicht gemeinsam nach weiterer Unterstützung, Beratungsstellen, Hilfe zur
Pflege oder so suchen?
Ja, das sind sicherlich Ideen, wenn auch keine revolutionären Ideen. Aber wie
helfe ich jemandem, der Alkohol trinkt und meinen Hinweis, dass er zu viel trinkt,
nicht ernst nimmt, meine Sorge nicht teilt? Oft ist ja kein Einsehen in die eigene
Sucht da, muss ich ihn dann täglich um mich herum mit Liebe ertragen, auch
wenn er betrunken ist? Wie soll ich ihm denn in Liebe begegnen, wenn er
vielleicht auch gewalttätig gegen mich wird? Mich anbieten zum Frust abbauen?
Ehrlich: Ich bin da etwas ratlos, ob Jesu Ratschläge hier eine gute Lösung sind.
Es ist eben nicht so einfach, es gibt nicht die eine Lösung für alle und für jede
Situation. Das Leben ist nicht schwarz / weiß, sondern bunt mit ganz vielen
Grautönen. Jeder muss für sich schauen und Gott im Gebet fragen, was für den
Moment der richtige Weg ist.
Du hast vorhin gefragt, wie man es schafft seine Feinde zu lieben. Ebenso
herausfordernd ist es vermutlich, einen Angehörigen zu lieben, wenn er sich
immer wieder betrinkt und keine Einsicht in seine Sucht hat. Aber dazu müsste
man vielleicht erst einmal klären, welche Art von Liebe hier von Jesus und auch
von Paulus in dem Vers „Alles geschehe in Liebe“ gemeint ist. Dann wird es
möglicherweise klarer oder besser verständlich.
Naja, dass es nicht um sexuelle oder erotische Liebe geht, nicht um Verliebtsein
und im „siebenten Himmel“ fühlen, ist mir schon klar! Hier geht es um Nächstenliebe. Aber trotzdem: für mich ist Liebe ein Gefühl, auch Nächstenliebe und diese
Gefühl der Sympathie oder Zuwendung spüre ich nicht zu jedem Nächsten von
mir und erst recht nicht zu denen, die mich anstrengen oder mir schaden wollen.
Ich glaube, es geht hier nicht um ein Gefühl! Neben sexueller und zärtlicher
Liebe, neben den Beziehungen, an die wir bei dem Wort Liebe alle denken, gibt
es im griechischen noch philia – dir freundschaftliche Liebe und agape – die
Nächstenliebe. Agape wird auch beschrieben, als die Liebe, die fürsorgt, die
Verantwortung übernimmt und sich um den anderen kümmert. Und dazu braucht
es keine Sympathie, das ist für mich kein Gefühl, sondern es ist vielmehr eine
Betrachtungsweise. Zunächst einmal bedeutet es, den anderen Menschen mit
den Augen Gottes zu sehen, so wie er ihn wollte und was er in ihm oder ihr sieht.
Und von dieser Ansicht ausgehend, begegne ich dem anderen mit Achtung und
Respekt. Das ist eine Frage meiner Haltung, meiner Grundeinstellung und kein
Gefühl. Ich muss ihn nicht sympathisch finden, nicht seine Meinung teilen, ich
muss ihn nicht mögen. - Ok, das erscheint mir zumindest etwas einfacher, schaffbarer, es ist zuerst
einmal eine Entscheidung, die ich treffen muss, wie ich dem anderen
begegnen möchte, keine Herzensangelegenheit, trotzdem bleibt es
herausfordernd: gerade beim Thema Sucht oder Pflege, wenn ich dem
anderen immer mit Nächstenliebe begegne und mein Möglichstes für ihn
tue, kann ich dabei selbst ganz schön an das Ende meiner Kräfte kommen.
Ja und vielleicht spricht Jesus deshalb nicht nur von Nächstenliebe, sondern
ebenso von Gottes Liebe und Selbstliebe: „Du sollst Gott und deinen Nächsten
lieben, wie die selbst.“, das bedeutet auch: Ich darf mich dabei nicht aus dem
Blick verlieren. Wenn ich mich selbst nicht liebe, nicht auch auf mich achte, dann
kann ich irgendwann Gott und meinen Nächsten auch nicht mehr lieben. Es hängt
alles zusammen. Wenn Paulus sagt: „Alles was ihr tut, geschehe in Liebe“, dann
kann dies auch bedeuten, etwas aus Liebe zu mir zu tun, aus Liebe zu Gott oder
eben für meinen Nächsten. Idealerweise sollte es immer eine Mischung aus
allem sein.
Dann ist es vielleicht auch ein Handeln aus Liebe, wenn ich erkenne, dass ich die
Pflege nicht allein schaffe und mir dazu Hilfe und Unterstützung hole?
Ja, ganz sicher ist es das. Weil du dann vielleicht viel befreiter den anderen
besuchen und dich mit ihm beschäftigen kannst, weil du nicht erst das Notwendige, den Haushalt, die Wäsche oder das Essenkochen für ihn erledigen musst!
Ich finde, man kann nur dann sagen:“ Er oder sie wurde ins Heim abgeschoben.“,
wenn danach kaum Kontakt zu den Angehörigen besteht und sie sich nicht mehr
um den zu Pflegenden kümmern, ihn gar nicht mehr besuchen.
Das wäre dann wohl ein Handeln aus reiner Selbstliebe! Es kann dann aber auch
ein Handeln aus Liebe sein, wenn ich auf mich achte und mich aus CoAbhängigkeiten löse und den süchtigen Partner bitte, sich Hilfe zu suchen oder
wenn nicht, räumlichen Abstand zu ihm suche und mich trenne.
Ja, auch das kann liebevolles Handeln sein, meiner Meinung nach. Trotzdem
möchte ich es auch nicht zu einfach sehen. Ich fände es schon gut und
herausfordernd, sich von Jesus inspirieren zu lassen und es mal anders zu
machen, als alle erwarten würden. Eben unerwartet liebevoll zu sein, moderne
Antithesen zu entwickeln:
Das könnte dann zum Beispiel bedeuten: (vorgelesen von Akteuren der Szenen)
… (ver)urteile nicht (über) den Anderen, sondern gehe auf
ihn zu und biete ihm ein Gespräch oder eine unerwartete
Zuwendung an („Rosen für die Bettlerin“)
… gib einem ersten spontanen Impuls nicht nach, sondern
überlege die deine Entgegnung nochmal
… wenn jemand zu dir (in die Beratung) kommt und dich
um Hilfe bittet, so hilf ihm nicht nur einmal, sondern sieben
mal sieben mal (immer wieder), auch wenn er dich
enttäuscht und rückfällig geworden ist.
… wenn jemand in einer schwierigen Lebenssituation dich
um etwas Zeit für ein Gespräch bittet, so schenke ihm ein
offenes Ohr und nimm dir Zeit dafür.
… wenn jemand dich um Hilfe bei Papierkrieg bittet, dann
fülle nicht für ihn die Anträge aus, sondern nimm dir mehr
Zeit und bringe ihm bei, wie er das selbst schaffen kann.
… wenn jemand aus deiner Familie Pflege braucht,
überlege, welche seiner / ihrer Bedürfnisse du gut erfüllen
kannst. Vielleicht ist es besser sich Zeit für Besuche und
Gespräche zu nehmen und die körperliche Pflege an
andere abzugeben.